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Zurück in die Zukunft
In diesem Februar jährt sich der Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine. Rasante Energiepreissteigerungen, zunehmende geopolitische Risiken, eine allgemein steigende Teuerung halten Finanzverantwortliche seitdem in Atem. Was steht auf der Agenda der CFOs, die nun Situationen meistern müssen, die in keinem Lehrbuch stehen?
Normalerweise weiß Ronald Gleich, was wo geschrieben steht. Gleich ist Professor für Management Practice and Control an der Frankfurt School of Finance and Management und leitet das dortige Centre for Performance Management & Controlling. Doch als die Inflationsrate im Frühjahr 2022 nach oben schoss, musste er lange suchen. Inflationsvorsorge und -management schienen gänzlich aus den BWL-Lehrbüchern verschwunden. „Inflation? Das war jahrzehntelang kein Thema“, sagt er.
Nach Beginn des Ukraine-Krieges schnellten zunächst die Energiepreise nach oben und dann die Inflation. Die Weltwirtschaft geriet ins Wanken, in einer Situation, in der Unternehmen bereits andere, teils unerwartete Herausforderungen stemmen mussten – die Klimakrise und die Folgen der Corona-Pandemie und des demografischen Wandels etwa. Der ehemalige Roland-Berger-Chef Burkhard Schwenker weist im Gespräch mit der Wirtschaftswoche darauf hin, dass sich Themen teils gegenseitig verstärkten. „Wenn ein Unternehmen seine wegen des russischen Überfalls fragile Energieversorgung diversifizieren will, muss es investieren, was aufgrund der Inflation teuer wird“, so der Unternehmensberater, der Firmen jahrzehntelang in Krisen zur Seite stand. Die Preise wiederum seien nicht nur wegen des Krieges und aufgrund der bis vor kurzem geltenden, strengen Restriktionen Chinas zur Eindämmung der Corona-Pandemie gestiegen. „Sie steigen auch wegen Lohnerhöhungen, die Arbeitnehmer wegen des Fachkräftemangels durchsetzen können.“
Es ist nicht mehr die eine Krise, sondern ein Multikrisenmodus, für den ein Fahrplan neu erfunden und immer wieder angepasst werden muss. Denn der Einfluss der einzelnen Risiken auf Unternehmen unterliegt ständigem Wandel. Eine Umfrage von Deloitte unter CFOs zeigt: Allein zwischen Frühjahr und Herbst 2022 wuchs die Sorge um steigende Lohnkosten um zwölf Prozent, Bedenken wegen einer schwächeren Inlandsnachfrage nahmen sogar um 24 Prozent zu. Dahingegen sank der Wert in Bezug auf die steigenden Rohstoffkosten um 15 Prozent.
1. Die Schrecken der CFOs
Was Finanzchefs als die größten Risiken wahrnehmen:
- Steigende Energiekosten
74 % (Herbst 2022)
77 % (Frühjahr 2022)
- Steigende Lohnkosten
71 % (Herbst 2022)
59 % (Frühjahr 2022)
- Fachkräftemangel
71 % (Herbst 2022)
66 % (Frühjahr 2022)
- Geopolitische Risiken
69 % (Herbst 2022)
77 % (Frühjahr 2022)
- Schwächere Inlandsnachfrage
65 % (Herbst 2022)
41 % (Frühjahr 2022)
- Steigende Rohstoffkosten
56 % (Herbst 2022)
71 % (Frühjahr 2022)
- Zunehmende Regulierung in Deutschland
38 % (Herbst 2022)
28 % (Frühjahr 2022)
- Steigende Kapitalkosten
27 % (alle Gründer)
16 % (Gründer 45+)
Quelle: Deloitte
Wie können mehrere Krisen gleichzeitig bewältigt werden, die derart miteinander verbunden sind und deren Auswirkungen auf Unternehmen sich ständig ändern? Wichtig sei es, ein Krisenmanagement zu etablieren und handlungsfähig zu bleiben, sagt Ronald Gleich. Neben seinen Tätigkeiten in Forschung und Lehre leitet er auch einen Thinktank beim Internationalen Controllerverein (ICV). „Beim ICV haben wir, neben der Krisenerkennung und -vorsorge, vier Phasen des Krisenmanagements beschrieben“, sagt Gleich. „Überleben sichern, Stabilisierung, Neuausrichtung des Geschäftsmodells, Neustart.“
2. Liquidität planen
Überleben sichern und Stabilisierung – für viele Finanzverantwortliche bedeutet das zunächst: flüssig bleiben. Robert Giebenrath ist einer von ihnen. Der Consultant und Wirtschaftspsychologe ist Geschäftsführer der Unternehmensberatung RG Finance GmbH und stellt externe CFOs und Controller für aktuell 60 Unternehmen. Deren erste Maßnahme im Krisenfall: Liquiditätsplanung. „Ohne eine Liquiditätsplanung, die laufend aktualisiert wird, kann ich nicht in Szenarien planen“, sagt Giebenrath. „Das muss ich aber. Ich muss schließlich wissen, wie sehen meine Zahlen aus, wenn die Preise noch drei Monate weitersteigen? Was, wenn es sechs werden? Oder acht? Nur so kann ich Lösungen finden.“ Sein Kunde Viet Pham Tuan ist dem Rat gefolgt. Er ist Gründer und Geschäftsführer von Socialnatives, einem Unternehmen, das Mittelständler beim Employer Branding, HR-Marketing und Social-Media-Recruiting unterstützt. „Ich habe unsere Liquiditätsplanung im zweiten Quartal 2022 von quartalsweise auf wochenweise umgestellt“, sagt Tuan. „Das werde ich mindestens für die kommenden zwölf Monate beibehalten.“
Eine weitere Empfehlung von Giebenrath: eine Finanzierung sichern, solange die Bonität noch gut ist – zum Beispiel einen höheren Kontokorrentkredit oder ein Darlehen –, und Hausbank, Auskunfteien wie Creditreform sowie Warenkreditversicherer auf dem Laufenden halten. Auch das hat sich Tuan zu Herzen genommen und gleich zu Beginn der Krise einen neuen Kredit beantragt. „Außerdem schicke ich einmal im Monat eine aktuelle BWA an unsere Hausbank und bespreche sie mit meinem zuständigen Kundenbetreuer.“
3. Weitere Maßnahmen:
- regelmäßig prüfen, ob Kunden ausfallgefährdet sind
- Abhängigkeit von Einzelkunden verringern
- Forderungen möglichst früh eintreiben, falls möglich bereits während der Produktherstellung
- die von Lieferanten gewährten Zahlungsziele voll ausreizen
4. Kosten in den Griff bekommen
Immer stärker rückt auch das Thema Sparen ins Zentrum der Aktivitäten von Finanzverantwortlichen. 70 Prozent der von Deloitte befragten CFOs gaben im Herbst 2022 an, Kosten senken zu wollen. Im Frühjahr 2022 waren es nur 58 Prozent. Giebenrath empfiehlt, mithilfe einer Profitcenter-Analyse, bei der das Unternehmen in Bereiche eingeteilt wird, deren Profitabilität zu ermitteln. „So kann man erkennen, ob man sich von bestimmten Teilbereichen trennen sollte“, erklärt der Berater.
Außerdem rät Giebenrath, in Software zu investieren, um Prozesse zu verschlanken und die Effizienz zu steigern. „Ab einer bestimmten Größe lohnt sich für viele Unternehmen eine ERP-Software“, sagt er. Bei der Einführung sei man mitunter gezwungen, die eigenen Prozesse unter die Lupe zu nehmen. „Aber auch für kleinere Betriebe lohnt sich die Prozessoptimierung durch zum Beispiel CRM-, Warenwirtschafts- oder Projektmanagement-Tools.“
Fest steht auch: Die gestiegenen Einkaufspreise können Unternehmen nicht allein schultern. Ganz oben auf der Agenda der Finanzverantwortlichen stehen Preiserhöhungen: „Für fast alle befragten CFOs (91 Prozent) ist es wichtig beziehungsweise sehr wichtig, die erhöhten Kosten direkt durch höhere Preise an ihre Kunden weiterzugeben“, heißt es in der Deloitte-Studie.
Leichter gesagt als getan. Preiserhöhungen durchzusetzen, ist schwer. Damit der Vertrieb das trotzdem angeht, müsse die Sensibilität für das Thema Inflation geschärft werden, mahnt Ronald Gleich. Und: Es müssen die richtigen Anreize geschaffen werden. „Vertriebsmitarbeiter müssen umso mehr zu Preiserhöhungen motiviert werden“, sagt er. Eine Maßnahme sei, zumindest einen Teil der Vertriebsprovisionen an der erzielten Preiserhöhung auszurichten und nicht nur am Umsatz oder am Kundendeckungsbeitrag. „Dann wirken sich höhere Preise direkt positiv auf das Einkommen der Vertriebler aus.“
5. Weitere Maßnahmen:
- Preisnachverhandlungsmöglichkeiten in Verträge integrieren
- neue Lieferanten entwickeln, um Verhandlungsmacht bei Preiserhöhungen zu gewinnen
- Vorratsaufbau, falls weitere Preiserhöhungen absehbar sind, speziell dann, wenn die möglichen Preissteigerungen deutlich höher sind als die zu erwartenden Finanzierungskosten
6. Chancen erkennen und nutzen
Jede Krise birgt Chancen. Das hat Socialnatives-Geschäftsführer Tuan selbst erfahren. Es gelang ihm dank gründlicher Analyse, neue Vertriebspotenziale zu entdecken. Nicht nur intensivierte er seine Marketing- und Vertriebsaktivitäten auf weniger krisengeschüttelte Branchen – zum Beispiel Pflege. Er fand auch Upselling-Angebote, die seine Mitarbeiter mangels Incentivierung bis dato nur selten verkauft hatten: Recruiting-Videos, Workshops zur Erarbeitung einer Arbeitgeberstrategie sowie eine HR-Software für Karriereseiten im Internet. „Im vergangenen Jahr erzielten wir damit einen Neuumsatz durch Bestandskunden von 20 Prozent“, sagt Tuan. „Dieses Jahr sind es sogar 35 Prozent.“
Auch Robert Giebenrath weiß um das Potenzial von Krisen: „Unternehmen können als Gewinner aus einer solchen Lage heraustreten“, sagt der Berater. „Die Insolvenzwelle wird befeuert. Wer in der Krise seine Hausaufgaben gemacht hat und darüber hinaus über ein solides Eigenkapital verfügt, überlebt. Manch anderer nicht.“ Jetzt sei die Zeit, um sich für gute Gelegenheiten bereitzuhalten. „Von Wettbewerbern, die die Krise nicht überstehen, lassen sich nicht nur Marktanteile oder ganze Unternehmensteile übernehmen. Dem angespannten Arbeitskräftemarkt stehen auch wieder mehr Mitarbeiter zur Verfügung.“
7. So rechnen Sie mit der Inflation
Bei der Wirtschaftlichen Gleichung nach Solaro (1975) werden die Verkaufspreisanstiege dem Anstieg der Personal-, Material- und sonstigen Kosten gegenübergestellt. Das Ergebnis ist der Brutto-Inflationseffekt (Verkaufspreisanstieg minus Kostenanstieg). Sind die initiierten Kostenverbesserungsmaßnahmen geringer als der Brutto-Inflationseffekt, dann gibt es einen Netto-Inflationseffekt zulasten des Ergebnisses. Ziel sollte es also sein, möglichst einen höheren Verkaufspreiserfolg zu erzielen oder hohe Kostenverbesserungsmaßnahmen anzustreben, um dies auszuschließen.
BEISPIEL: | PLANJAHR (MIO. EUR) |
Verkaufspreisanstieg | 16,5 |
– Gesamtkostensteigerung (Personalkostenanstieg 29,3 + Material- und Dienstleistungspreissteigerung 17,4) | 46,7 |
= Brutto-Inflationseffekt | -30,2 |
+/– Kostenverbesserungsmaßnahmen | 21,1 |
= Netto-Inflationseffekt (zulasten des Ergebnisses) | -9,1 |
8. „Transformation ist auch eine Geldfrage“
Emese Weissenbacher hat den Transformationsprozess des Autozulieferers MANN+HUMMEL zu einem technologiestarken Filtrationsspezialisten maßgeblich geprägt. Im Interview spricht sie über Inflation, Kostenbewusstsein und ein neues Mindset im Vertrieb.
In einer Umfrage von Deloitte gaben 70 Prozent der befragten CFOs an, Kosten senken zu wollen. Sie auch?
Kostendisziplin ist mir per se wichtig. Wir setzen unsere Mittel gezielt ein und geben nur Geld für lebensnotwendige und strategisch wichtige Themen aus. Diese Disziplin behalten wir auch in Nicht-Krisen-Zeiten bei. Auch sollten Geschäftsprozesse in Produktion und Administration ständig optimiert werden, damit die Kosten im Vergleich zum Umsatz weniger stark wachsen.
Wie kann das gelingen?
Wir haben viel in die bereichs- und organisationsübergreifende Zusammenfassung gleichartiger Prozesse investiert: Unser internes Service Center übernimmt beispielsweise weltweit standardisierte Abläufe.
Wie wichtig sind Inflationsmanagement und -vorsorge für Sie?
Seit dem letzten Quartal 2021 zählt die Inflation zu den bedeutendsten Themen, an denen wir arbeiten. Sie hat großen Einfluss auf unsere Transformationsstrategie. Transformation ist auch eine Geldfrage und eng mit der finanziellen Stabilität des Unternehmens verknüpft.
Woran arbeiten Sie diesbezüglich?
Preiserhöhungen weitergeben zu müssen, war für viele Mitarbeiter Neuland, denn sie waren bislang eher mit Preisreduktion bei gleichzeitiger Absatzsteigerung befasst. Wir haben deshalb die Schulungen unserer Vertriebsmitarbeiter der Marktlage angepasst und setzen verstärkt auf das Thema Value Selling. Preiserhöhung bei den Lieferanten sollen schneller an den Kunden weitergegeben werden. Zu Beginn der Krise lagen wir bei einer Zeitverschiebung von sechs Monaten und sind bereits besser geworden.
Und künftig?
Die Zusammenarbeit zwischen den Steuerungsobjekten wird sich – auch mithilfe digitaler Tools – verbessern müssen, damit wir in Echtzeit die Preise anpassen können. Einkauf, Vertrieb und Operations müssen immer den gleichen Informationsstand haben und abstimmen, was sie an den Markt weitergegeben und was sie durch Effizienzsteigerungen auffangen.
9. Update fürs Controlling
Laut der CFO-Umfrage von Deloitte steht auch ein Update der Finanzabteilungen an. Drei Viertel der befragten Finanzverantwortlichen gaben an, ihr Bereich schöpfe die Potenziale der Digitalisierung noch nicht aus. Besonders innovative digitale Technologien, Datenmanagement und Data Analytics sowie neue Mitarbeiter- und Arbeitsplatzanforderungen fehlten. „Dadurch fühlen sich viele Finanzvorstände nur unzureichend auf die neuen Anforderungen vorbereitet – seien es globale Umbrüche, die Notwendigkeit einer Geschäftsmodelltransformation oder neue Mitarbeiteranforderungen“ schreiben die Studienautoren. Infolgedessen sehen 73 Prozent unter den Befragten eine hohe oder sehr hohe Notwendigkeit, die Reaktionsgeschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit der Finanzfunktion zu erhöhen. Ronald Gleich empfiehlt, den Fokus auf andere Kennzahlen als bislang zu legen – das Nettowachstum etwa. „Wenn im Unternehmen eine nominelle Profitabilität von vier Prozent bei einer Inflationsrate von fünf Prozent vorliegt, dann ist die adjustierte Profitabilität negativ und das Unternehmen vernichtet Wert.“ Deshalb sei ferner eine inflationsbereinigte Zielprofitabilität festzulegen.
Der Fokus auf andere Kennzahlen ist das eine – der Blick in die Vergangenheit das andere. „Man sollte wieder alte Konzepte aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, zum Beispiel von Dietrich Solaro, in Erinnerung rufen“, sagt Gleich. „Mit der von ihm beschriebenen sogenannten Wirtschaftlichen Gleichung kann man im Ist oder planerisch die Inflationsauswirkung auf die Erfolgsrechnung aufzeigen.“ Ferner sollten verschiedene Inflationsszenarien Teil der strategischen und operativen Planung sowie der Budgetierung sein und bleiben. Denn Gleich ist sich sicher: „Das Thema Inflation war zwar lange aus den Lehrbüchern verschwunden. Doch nun wird es uns wieder mehrere Jahre begleiten.“
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Tanja Könemann
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Mag. Gerhard M. Weinhofer
Unternehmenskommunikation
Mitglied der Geschäftsleitung