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Verlorene Jahre in Osteuropa
Die Länder Osteuropas sind von der Corona-Pandemie wirtschaftlich hart betroffen. Prognosen zufolge wird es in Mittel- und Osteuropa länger dauern als im Westen, bis die wirtschaftliche Entwicklung wieder zum Stand vor der Krise aufschließen wird.
Die meisten osteuropäischen Länder hatten die erste Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 noch relativ gut überstanden. Die zweite Welle im Winter 2020 bis zum Frühjahr 2021 aber hat die Ökonomie hart getroffen. Die Rede ist von „zwei verlorenen Jahren“. Angesichts dieser deprimierenden Aussage stellt sich die Frage nach dem Insolvenzgeschehen. Hat der Lockdown zum Kahlschlag unter den Unternehmen geführt?
Hilfen allerorten
Die Unternehmen in Europas Osten profitierten, wie ihre Kollegen im Westen, von einer Vielzahl von Unterstützungsmaßnahmen. Es kam zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und Zahlungsaufschübe waren möglich. So kam es auch in Mittel- und Osteuropa zu einem Rückgang der Insolvenzen. Waren 2019 noch fast 50.000 Unternehmen gezwungen, den Weg zum Insolvenzgericht anzutreten, so reduzierte sich diese Zahl auf 44.800 für das Jahr 2020. Immerhin ein Minus von 8,8 Prozent. Der Rückgang betrifft allerdings nicht alle Länder – so wurden in Estland, Tschechien und in Bulgarien höhere Zahlen als im Vorjahr registriert.
Der Anstieg der Insolvenzen in Estland, einem wirtschaftlich hochentwickelten Staat, betrug allerdings nur 1,4 Prozent. Waren hier 2019 noch 148 Unternehmensinsolvenzen hinzunehmen, so betrug ihr Anteil 2020 150 Fälle. Insgesamt hat sich das Insolvenzgeschehen in Estland über die letzten Jahre im Spiegel der guten konjunkturellen Entwicklung deutlich verbessert: Noch 2017 zählte der Ostseeanrainer mehr als doppelt so viele Insolvenzen.
Im Jahr 2020 waren in Tschechien 1.091 Unternehmensinsolvenzen aufgetreten. Gegen den Trend anderer osteuropäischer Staaten ist dieser Anstieg von fast 18 Prozent bedenklich. Tschechien kann einen Rückgang der Pleiten über die letzten Jahre melden – so waren vor fünf Jahren noch 2.438 Fälle hinzunehmen. Anzumerken ist bei diesen Zahlen, dass die Zusammenbrüche nur „echte“ Unternehmen betreffen, während kleine Gewerbetreibende nicht unter das Insolvenzrecht fallen. Auch in der Tschechischen Republik wurde ein Schutzschirm für die Schuldner aufgespannt – mit der Rücknahme dieser Maßnahme ist in Tschechien mit einer Insolvenzwelle in 2021 zu rechnen. Schon jetzt waren rund 17.000 Mitarbeiter von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffen. Dominiert wurde das Geschehen vom Handel, der 45,9 Prozent aller Insolvenzen stellte.
Einen ausgeprägten Zugang bei den Insolvenzen weisen auch die Unternehmen in Bulgarien auf. Hatte man im Vorjahr noch 996 Pleiten zu zählen, so waren es im Krisenjahr 2020 1.327 Fälle. In Bulgarien dominiert der Tertiärsektor das Geschehen, die Dienstleister halten einen Anteil von 49,4 Prozent am Gesamtaufkommen.
Polen ist im Hinblick auf die Einwohnerzahl und das wirtschaftliche Gewicht eines der wichtigsten Länder Mittel- und Osteuropas. Bei den Insolvenzen teilt das Land die osteuropäische Entwicklung – die Zahl der Pleiten hat von 645 im Jahr 2019 auf 576 Fälle abgenommen (minus 10,7 Prozent). Dabei waren mehr Arbeitnehmer von den Schließungen betroffen als im Vorjahr. Anzumerken ist, dass die geringe Anzahl von Fällen damit zusammenhängt, dass das Insolvenzrecht in Polen nur seltener angewendet wird. Entscheidend für die jüngste Entwicklung dürfte in Polen sein, dass die Regierung angesichts der Krise einige Hilfsmaßnahmen auf den Weg brachte. Notleidende Unternehmen hatten die Möglichkeit, ihren Insolvenzantrag bis zum Ende der Krise zu verschieben. Vielfach genutzt wurde das Angebot, sich außerhalb des Insolvenzverfahrens mit den Gläubigern zu einigen. Anzufügen ist allerdings, dass sich keine Zahlen angeben lassen, wie viele Unternehmen tatsächlich durch diese Unterstützung gerettet werden konnten. Auch Steuererleichterungen standen auf der Agenda der staatlichen Maßnahmen. Anders als in den übrigen Ländern Osteuropas sind die Branchenstrukturen in Polen: So ist der Handel mit 31,4 Prozent vergleichsweise gering betroffen, während das Verarbeitende Gewerbe mit über 26 Prozent einen hohen Anteil stellt. Diese Strukturen mögen damit zusammenhängen, dass nur größere Unternehmenseinheiten einen Insolvenzantrag stellen. Kleine Handels- und Dienstleistungsunternehmen dagegen „Stille Heimgänge“ durchführen. Die höchste Zahl von Insolvenzen im Osten kommt aus der Ukraine mit fast 20.000 Unternehmen. Es folgen Kroatien mit 11.644 Fällen, Rumänien mit 5.564 Betroffenen sowie Serbien mit 1.828 Unternehmen und Slowenien mit 1.125 insolventen Betrieben. In vielen Ländern im Osten Europas hat das Insolvenzrecht nicht den gleichen Stellenwert wie im Westen. Es ist also nicht nur die vergleichsweise geringe Größe der Volkswirtschaften in den einzelnen Ländern, die für die niedrigen Zahlen (in der Krise) verantwortlich ist, sondern auch das Insolvenzrecht, das eine eher geringere Rolle spielt.
USA nutzen Chapter 11
Schließlich werfen wir noch einen Blick auf das andere Ende der Welt, auf die USA. In den Vereinigten Staaten wurden Erleichterungen geschaffen und auch in Amerika gab es trotz der Krise Rückgänge bei den Unternehmensinsolvenzen (minus 16,5 Prozent). Waren 2019 noch rund 39.000 Fälle zu zählen, so sind es 2020 nur noch 32.500. Dabei spielte eine große Rolle, dass das US-amerikanische Insolvenzrecht durch den Artikel 11 bereits vorher die Möglichkeit zur Sanierung und Erleichterung zur Verfügung stellte. Mehr als ein Viertel der Unternehmen haben diese Option genutzt, um sich im Schutz des Insolvenzrechts zu sanieren und neu aufzustellen.
Quelle: Creditreform Risikomanagement Newsletter, Ausgabe 6/2021
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Mag. Gerhard M. Weinhofer
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